Mittwoch, 22. September 2004
6:34 uhr - hörpspiel am morgen, ein alter mann und blut
im fastdunkel vor dem weckerpiepen das morgendliche vertraute hörspiel: mal wieder flieger, die ihre warteschleife hier ziehen. die bahn um 6:44 (diesmal ohne tuten vor dem bahnübergang mit andreaskreuz weiter weg). ein auto auf dem parkplatz, wegfahrend. die frau über mir mit den holzpantinen, die ihre rundschau aus dem kasten holt: klappklappklapp - quietsch - klappklappklapp - rums.
frau k. von nebenan, die ihren hund rausläßt.

und dann dachte ich an den alten mann, dem ich vor ein paar tagen erste hilfe geleistet habe. er war auf der straße gefallen, vor dem büro. eine kollegin hat mich alarmiert.
also runter, mit gemischten gefühlen. ich kann's ja, aber ist auch schon jahre her, dass ich bei einem notfall war.
da lag er und blutete aus einer kopfplatzwunde. drei männer und eine frau um ihn herum, aufgeregt: "oh gott, das BLUT".

"ich mach das hier, ich kann das." - auf diesen satz warten scheint's immer alle. sobald ich ihn ausgesprochen habe, diesen magischen satz, merk ich, wie alle last auf mich abgeladen ist, und die anderen, schon erleichtert, etwas unschlüssig sind - bleiben und zugucken oder wieder den tagesgeschäften nachgehen.

der krankenwagen war schon alarmiert. ich hatte nix dabei, konnte nichts machen, außer: kurz abtasten (knochenbrüche?), hand halten (und dabei heimlich den puls fühlen), in die augen schauen, mit dem mann reden, um ihn bei mir zu halten und festzustellen, ob er verwirrt ist oder verwirrt wird (hirnverletzung?). er blutete recht stark. die zeitung unter seinem kopf war schon getränkt.

an den geruch von menschlichem blut kann ich mich nicht gewöhnen. frisches blut von schlachttieren macht mir nix aus (steak). aber der geruch von frischem abkühlenden menschenblut macht mir die zunge dick und pelzig, und ich muss jedesmal ganz kurz ein grauen unterdrücken. wohl noch ein steinzeitliches gefühl: tierblut heißt nahrung, menschenblut gefahr, katastrophe.

der krankenwagen ist immer noch nicht da. dafür eine menschentraube, die ich ausblende, nachdem der vierte oder fünfte hysterisch auf das BLUT hinweist: "oh gott, der BLUTET ja!" kopfwunden bluten IMMER stark, das heißt gar nix.

aber dieser alte mann nimmt blutverdünnende medikamente, und das ist jetzt wirklich gefährlich. erstmal besonders für das gehirn. dort könnte ein blutgefäß geplatzt sein. oder die milz könnte eingerissen sein (er fiel auf die linke seite).

der krankenwagen kam, natürlich ohne arzt, aber mit zwei jungen ausgeruhten sanis, die gerade ihre schicht angefangen hatten und noch nach rasierwasser und kaffee dufteten, alltäglich und beruhigend.
die bahren, die sie heute haben, sind schon toll: zwei harte halbschalen, die sie unter dem körper des liegenden zusammen schieben, ohne ihn viel bewegen zu müssen.
die ehefrau ist inzwischen auch da und schimpft : "was soll denn das, immer fällst du, bisher ging es doch, jetzt das, wo ist der garagenschlüssel, ich muss wenigstens das auto wegfahren, nein, ich fahr nicht mit ins krankenhaus, heute abend ist er ja doch wieder da ..." ein endloses lamenti.

ich halte den mann bei mir, mit reden, streicheln, dann geht's ab in den krankenwagen, es gibt ein kleines kanülchen in die vene, einen tropf, und dann ab zum röntgen und zur weiteren versorgung ins nächste krankenhaus. ich fahr nicht mit.

noch tage später, in der kantine, auf dem gang, sprechen mich kollegen an. offensichtlich haben ganz viele an den fenstern gehangen und zugesehen, was die a. da unten macht. mein chef fragte misstrauisch: und, wie OFT haben sie stechen müssen??? vermutlich hat er sich vorgestellt, dass er ein potentielles sturz- und versorgungsopfer sein und dann in MEINE hände geraten könnte.

und: die früher übliche entstressungs-zig danach fiel aus - ich hab nur ganz kurz dran gedacht.